Ukraine-Konflikt – Update April 2025
Dieser Beitrag schildert die
Fortentwicklung des Ukraine-Konflikts. Er schließt an mein Buch Nicht mein Krieg. Deutschland und der Ukraine-Konflikt und dessen Update vom November 2024 https://www.helmut-roewer.de/we_demo_2/news/1005.php
an. Dort findet der Leser alle wissenswerten Grundlagen zu Vorgeschichte,
Ausbruch und Verlauf des Konflikts sowie zu den gegensätzlichen Interessen der
Konfliktparteien.
Die
folgenden Ausführungen sind dreigeteilt: Sie beschreiben die Fortentwicklung
der politischen Lage, die
Fortentwicklung der militärischen
Lage, einschließlich der Veränderung des Geschehens auf dem Gefechtsfeld, und die
prekäre Sonderrolle Deutschlands.
Vorab
kann gesagt werden, dass meine bisherige Einschätzung des Konflikts weiterhin
von den Darstellungen der Meinungsführer in Deutschland und im westlichen
Ausland ebenso abweicht wie von der gängigen russischen Propaganda. Ich
verfolge weiterhin die Methode, die Meldungen beider Seiten auf
Übereinstimmungen zu untersuchen, um die raren Fakten vom Spreu der Meinungen
zu trennen. Diese Methode hat bislang zu einer, nicht nur aus meiner Sicht, ziemlich
zutreffenden Lagebeschreibung geführt. In den US-Mainstream-Medien tauchten im
Februar 2025 erstmals die einschlägigen Kartenbilder auf:

Das große Gerede – die
politische Entwicklung des Ukraine-Konflikts
Eine tiefe Zäsur im bisherigen
politischen Meinungsstreit zwischen den unmittelbar Beteiligten und den
zahlreichen Zuschauern und Nutznießern erfolgte durch die Wahl des neuen
US-Präsidenten im November 2024. Dieser hatte im Wahlkampf angekündigt, er
werde den Krieg an einem einzigen Tag beenden. Trump ist jetzt nahezu 100 Tage
im Amt, und man kann mit Sicherheit feststellen, dass dies – obschon er es
versucht hat – nicht gelungen ist. Hierfür gibt es zahlreiche Gründe. Der
wichtigste darunter ist, dass er nunmehr offenbar erstmalig gezwungen wurde, der
russischen Seite zuzuhören, gegen die er augenscheinlich kein wirksames
Erpressungsmittel in Händen hält. Im Gegenteil, er steht unter Zeitdruck, denn
die russische Seite ist dicht davor, diesen Krieg mit militärischen Mitteln zu
entscheiden.
Die
Forderungen der russischen Seite sind seit Ende 2023/Anfang 2024
vielfach und nicht voneinander abweichend formuliert worden. Sie lauten: a) Anerkennung
der vier Provinzen Lugansk, Donjezk, Saporoshje und Cherson sowie –
selbstredend – der Krim als Teil des russischen Staatsverbands. So, wie das im
Oktober 2022 nach einer Volksabstimmung im vorangegangenen September von der
Duma beschlossen wurde. b) Entnazifizierung der Rest-Ukraine. Hinter diesem
russischen Propagandabegriff verbirgt sich die Entmilitarisierung und
Einsetzung einer russland-freundlichen Regierung. c) Verzicht auf jegliche
Nato-Mitgliedschaft. Diese Forderungen sind aus russischer Sicht nicht nur
Bedingungen für einen Friedensvertrag, sondern bereits die Voraussetzung für
einen Waffenstillstand.
Die
US-Seite sieht diese russischen Forderungen als eine kaum zu akzeptierende
Zumutung an. Der Grund hierfür erscheint – aus meiner Sicht vordergründig – der
Wunsch des US-Präsidenten, merkbare Erfolge als Friedensstifter vorweisen zu
können. In Wirklichkeit jedoch befindet sich Trump in einem US-internen
Interessenkonflikt. Etliche seiner Unterstützer und seiner Gegner haben bei
einem russischen militärischen Sieg, der zu einer vermutlich bedingungslosen
Kapitulation der Ukraine führen würde, unabsehbar große Vermögen zu verlieren.
Selbst politisch bedeutsame kriegsbegeisterte Figuren, wie der republikanische
Senator Lindsey Graham, haben wissen lassen, dass sie Trumps
Friedensinitiativen begrüßen, weil sie sich ausgerechnet haben, dass
US-Interessen in der Ukraine, vor allem in der Ost-Ukraine, nur dann realisiert
werden können, wenn Trump diese gegenüber Russland durchzusetzen weiß. Jedem
dieser Geschäftsleute – soweit sie nicht vom Großmachtwahn geblendet sind –
muss klar sein, dass es hier nur noch um die Alternative Weniges oder Nichts
geht.
Nüchternen
Rechner werden wissen, dass Russland am längeren Hebel sitzt, weil die
vielfachen seit 2002 (!) bis heute verhängten Wirtschaftssanktionen
nicht den gewünschten Eindruck auf das Russische Reich gemacht, sondern zur
Solidarisierung der US-feindlichen Staaten dieser Erde geführt haben. Dieser Solidarisierungs-Effekt
wurde bereits im März 2022, also unmittelbar nach dem russischen Angriff deutlich.
Er hält bis heute an.
Für
Trump und seine Kriegsbeendigungsstrategie kommt es also darauf an, nicht nur
das Schießen dortzulande ans Ende zu bringen, sondern vor allem die
US-Interessen auf beiden Seiten der mit Sicherheit entstehenden neuen Staatsgrenzen
zu sichern. Gelingt ihm das nicht, gehen die US-Interessen zumindest östlich
der neuen Grenzen komplett den Bach runter. Es liegt allein an den Russen, ob
sie sich Vorteile davon versprechen, mit den USA neu zu starten oder auch
nicht.
Die
US-Verhandlungsposition gegenüber der heutigen Herrschaft der Ukraine ist
heikel, weil deren Herrschaftsstruktur von den USA selbst installiert worden
ist. Die US-Wirtschaftsinteressen hier durchzusetzen, stößt auf Forderungen der
Selenskyj-Regierung nach militärischer Sicherung der Gebietshoheit, die sich an
den Grenzen von vor 2013/14 orientiert. Der bemerkenswerte Auftritt von
Trump-Vance mit Selenskyj im Weißen Haus am 28. Februar 2025, wo es zum offenen
Konflikt hierüber kam, sollte allen Illusionisten zu denken geben.

Die
Gebiets- und Herrschaftsrestitution der Ukraine ist aus jetziger Sicht der USA
unrealistisch und auch unerwünscht, weil Deals mit Russland hinsichtlich der
Bodenschätze des jetzt unter russischer Herrschaft befindlichen Donbass
offensichtlich lukrativer sind. Selenskyj pokert weiterhin mit den von den USA
verlangten wirtschaftlichen Abtretungen, die nach amerikanischer Forderung als
Sicherheit für die bereits verausgabte finanzielle und sachliche Unterstützung
herhalten sollen. Es wird von der ukrainischen Führung nicht ohne Grund
eingewandt, dass es sich hier um den wirtschaftlichen Ausverkauf des Landes
handele.
Die
Selenskyj-Regierung fühlt sich durch Zusicherungen aus Großbritannien (Starmer)
und Frankreich (Macron) in ihrem Widerstand bestärkt, weil diese Länder – und
ebenso die Führung der EU (v.d. Leyen) – für den Ausfall der amerikanischen
Hilfen einspringen wollen. Die ukrainische Führung hat auf diese Zusagen
aufgesattelt, indem sie die Entsendung von Nato-Truppen ins Kampfgebiet verlangt
hat. Macron und Stamer haben im Februar/März 2025 einschlägige, wenn auch vage
Zusagen (für die Zeit nach einem Waffenstillstand) verlauten lassen. An der
jüngsten Ukraine-Dreierkonferenz in London, die für den 24. April 2025
vorgesehen war, weigerten sich überraschend die Briten teilzunehmen.
Nach
dem Stand von Ende April 2025 haben die USA, diesmal durch den Mund des
Vizepräsidenten Vance, versucht, die Ukraine und Russland zu einem
Waffenstillstand aufzufordern, wobei deutlich zu erkennen gegeben worden ist,
dass keine Seite auf maximalen Territorialforderungen bestehen könne. Selenskyj
hat diesen Vorstoß unverzüglich abgelehnt, während Kreml-Sprecher Peskow
mitgeteilt hat, Russland betrachte diesen Vorstoß nicht als Ultimatum, wiewohl
Vance kurz zuvor öffentlich ausführte, dass die USA sich aus dem Ganzen
zurückzögen, wenn beide Seiten auf ihren Forderungen beharren würden.
Sollte
die US-Regierung die Drohung mit dem Rückzug aus dem Ukraine-Konflikt ernst
machen, sind die Tage der jetzigen ukrainischen Regierung gezählt, denn die
EU-Staaten und Großbritannien können den Ausfall der US-Hilfen nicht
kompensieren. Erschwerend kommt hinzu, dass die EU-Staaten keine einheitliche
Linie zur Ukraine-Hilfe zustande bringen. Außer aus Frankreich und Deutschland
sowie Polen und der Tschechei sind substanzielle Beiträge nicht zu erwarten.
Gefallene, Verwundete,
Flüchtlinge – die militärische Fortentwicklung des Krieges
Die militärische Lage in
der Ukraine hat sich seit November 2024 insofern verändert, als die nach
Russland vorgedrungenen ukrainischen Truppen-Kontingente im Oblast Kursk
(August 2024) und Bjelgorod (Februar 2025) alle restlos von russischem
Territorium unter erheblichen ukrainischen Verlusten vertrieben worden sind.
Der ukrainische Vorstoß zur Gewinnung von Faustpfändern ist damit (wohl
endgültig) gescheitert.
Das
gesamte letzte halbe Jahr haben die Russen – ganz unbeeindruckt von den
ukrainischen Vorstößen auf ihr Territorium – ihren langsamen Vormarsch gen
Westen bzw. Nordwesten an dem gesamten über 1000 km langen Frontbogen
fortgesetzt. Die Vorwärtsbewegungen geschahen ohne erkennbaren inneren
Zusammenhang einer große Offensive, eher in Form von Nadelstichen mit geradezu
provozierender Langsamkeit. Die Angriffsbewegungen erfolgten stets in derselben
Manier, soweit es das Gelände zuließ, nämlich rechts und links an den
befestigten Plätzen vorbeistoßend und diese dann von den Versorgungswegen
abschneidend. Die Verteidiger wurden sodann dank überlegener russischer
Artillerie zusammengeschossen, soweit es ihnen nicht gelang – meist ohne ihr
Kriegsgerät – zu entkommen.
Es
wurde auf russischer Seite die Bewegung größerer Truppenverbände vermieden. Die
Angriffe selbst erfolgten in einer ersten Welle durch überraschend auftauchende
motorisierte Kleinstgruppen (auf Krädern und E-Bikes), durch die die
Verteidiger gezwungen wurden, sich in ihren Stellungen zu zeigen, welche dann
prompt mit Drohnen und Artillerie angegriffen wurden. Darauf folgten als zweite
Welle kleinste Panzereinheiten mit beigegebener Infanterie.
Die
erfolgreiche Operation mit kleinsten Einheiten ist nur möglich gewesen, weil
die Russen ihre Befehlsstruktur grundlegend geändert haben. Sie sind von
der seit Jahrhunderten eingeübten Befehlstaktik zum preußischen System der Auftragstaktik
übergegangen. Diese bedeutet inhaltlich, dass die Zielerreichung so weit wie
möglich nach unten delegiert wird. Innerhalb der groben Zielvorgabe entscheidet
der Kommandeur vor Ort selbst, wie er ans Ziel gelangt. Diese Änderung bedeutet
eine Revolution im russischen militärischen Denken. Sie verlangt flexible
Führer und motivierte Unterführer. Die Kleinstgruppentaktik verlangt zudem
einen rabiaten Siegeswillen bei jedem einzelnen Soldaten. Die bisher bekannt
gewordenen Beispiele lassen die Folgerung zu, dass diese Änderungen in der
Truppe Fuß gefasst haben.
Der
Drohnenkrieg im Erdkampf steuerte im Herbst 2024 zunächst auf einen
ausgeglichenen Höhepunkt hin. Alsbald ist jedoch erneut ein Übergewicht der
russischen Seite spürbar geworden, wobei die russischen, durch Glasfaserkabel
gesteuerten Kampf- und Aufklärungsdrohnen das Gefechtsfeld beherrschten, da
diese nicht durch elektronische Drohnenabwehr beeinflusst werden können. Überraschend
war, dass der Drohnenkrieg zum Massenphänomen geworden ist. Die 2023/24 im
Westen weit verbreitete Auffassung, die russische Seite sei nicht in der Lage,
ihren Drohnenbedarf auf dem Gefechtsfeld zu ergänzen, hat sich als Irrtum
bzw. als Zwecklüge erwiesen.
Beide
Seiten haben versucht, sich mit mechanischen Schutzvorrichtungen gegen die
Wirkung von Kampfdrohnen zu schützen. Auf der ukrainischen Seite sind die
Versorgungsstraßen mit Netzen überspannt. Auf russischer Seite ist auffällig,
dass Kampffahrzeuge Aufbauten mit herabhängenden Metallschnüren erhalten haben,
die nach russischen Angaben mehrere Drohnen-Treffer verkraften können. Falls
diese russischen Angaben und die ukrainischen über die Vernichtung von
Panzerfahrzeugen durch Drohnen (ein Treffer = ein Abschuss) stimmen, und man
sie dann miteinander vergleicht, kommt heraus, dass die russischen
Panzerverluste weit geringer sind, als bislang vermutet.

Der
Drohnenkrieg hat das Gefechtsfeld revolutioniert. Das enge Miteinander von
Aufklärungs-. und Kampfdrohnen macht, wo diese in Massen auftreten, nahezu jede
Bewegung auf dem Gefechtsfeld unmöglich, es sei denn, eine der Seiten ist
gewillt, hohe Verluste in Kauf zu nehmen. Unmittelbare Folge dieser Gefährdung
von Bodentruppen ist der russische Taktikwechsel hin zu Kleinst-Kampfgruppen.
Der folgende Screenshot aus einem ukrainischen Drohnen-Video zeigt eine solche,
mit hoher Geschwindigkeit angreifenderussische Kleinst-Gruppe (3 Kräder).

Zum
Thema Verluste lässt sich zudem aus heutiger Sicht ergänzen, dass die ukrainischen
Menschenverluste (Gefallene, schwer Verwundete, Deserteure) um ein Vielfaches
höher liegen als die der Russen. Es besteht der begründete Verdacht, dass im
Gegensatz zu den Russen die Ukrainer nicht mehr in der Lage sind, diese
Verluste auszugleichen. Die in der Öffentlichkeit diskutierten Verlust-Annahmen
beruhen vor allem auf Zahlen beider Konfliktparteien, die aus dem Gefangenen-
und Gefallenenaustausch hochgerechnet werden. Diese Methode ist vage, sonst
würde es nicht zu Abweichungen von 4 zu 1 bis 10 zu 1 zu Lasten der
ukrainischen Seite kommen.
Nach
wie vor gibt es keine belastbaren Angaben über die Zivilverluste durch die
Erdkampfführung und durch die Luftkriegsführung. Den immer wieder
durchgeführten Luftschlägen gegen militärische Versorgungseinrichtungen im
russischen Hinterland durch ukrainische Drohnen stehen massive russische Luftschläge
durch Drohnen, Raketen und Gleitbomben gegenüber. Diese richteten sich bislang
gegen Versorgungseinrichtungen bis weit ins ukrainische Hinterland hinein und
gegen Liegenschaften auf dem Land und in Städten, in denen die russische Seite
den Aufenthalt fremder (Nato)-Soldaten vermutete. Aus dem Umstand, dass
russische Flugzeuge bei ihren Angriffs-Aktionen immer dichter an die Frontlinie
heranrücken, ist mit gutem Grund die Vermutung geknüpft worden, dass die
ukrainische Luftabwehr durch vorangegangene Angriffe schwer beschädigt worden
ist.
Prinzessin auf der Panzermine –
die mutwillige deutsche Sonderrolle
Die Haltung der Bundesregierung
blieb vor und nach der Bundestagswahl (Februar 2025) zwiespältig: Während die
Grünen, vertreten durch die Noch-Minister Habeck und Baerbock als lautstarke
Unterstützer agitierten, verhielt sich die SPD eher zurückhaltend, auf jeden
Fall uneindeutig.
Der
CDU-Vorsitzende Merz ließ keinen Zweifel aufkommen, dass er die Ukraine massiv
unterstützen werde. Zu diesen Unterstützungshandlungen soll auch die Lieferung
von deutschen Taurus-Marschflugkörpern gehören. Innerhalb der CDU gibt
es eine lautstarke Gruppe, welche die Taurus-Lieferungen ebenfalls befürwortet.
Zu dieser gehört der seit Jahren als Kriegstreiber auffällig gewordene
Abgeordnete Kiesewetter und der CDU-Außenpolitiker Wadephul, der in der Union
als der zukünftige Außenminister gehandelt wird.
Es
steht zu erwarten, dass der politische Zwiespalt innerhalb der alten
Bundesregierung auf die neue übertragen und von dieser fortgeschleppt werden
wird. Ebenso wie in der CDU gibt es auch in der SPD Freunde des Eingreifens in
den Ukraine-Konflikt und der Lieferung der Taurus-Waffe. Allerdings gibt es
auch nach wie vor Gegner wie Boris Pistorius, den alten und vermutlich neuen
Bundesverteidigungsminister, der sich wiederholt zur Priorität der Aufrüstung
Deutschlands geäußert hat.

In
der öffentlichen Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt hat ein merkbarer
Schwenk stattgefunden. Während bisher der Chor der Kriegsunterstützer sich
damit begnügte, „wir“ müssten das ukrainische Volk bei seinem Freiheitskampf
gegen „den Putin seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“ beistehen, also die
Freiheit am Dnjepr verteidigen, liegt jetzt der Ton darauf, dass „wir“
verhindern müssten, dass der Russe im Jahre 2029 am Brandenburger Tor stehe.
Aus diesem Grund sei die Bundeswehr hochzurüsten und die Zeit, bis das geschehen
sei, durch Taurus-Lieferungen und deren Einsatz zu überbrücken.
Es
bedarf keiner komplizierten Erörterungen, um die Unschlüssigkeit des nunmehr
verfolgten Politikansatzes und der ihm folgenden Propaganda bloßzulegen. Es ist
die Blauäugigkeit, über die man zunächst verblüfft ist, bevor sich der Ärger
durchsetzt. Taurus zu liefern, das bedeutet, unmittelbare Kriegspartei zu
werden. Hierbei kommt es nicht auf die eigene abweichende Ansicht, sondern
alleine darauf an, wie derjenige, der das Ziel des Taurus-Beschusses werden
wird, diesen Angriff beurteilt.
Es
kommt, um es mit leicht variierenden Worten zu sagen, nicht darauf an, was
Rechtsgelehrte in ihren Studierstuben in Berlin-Mitte formulieren, ob solche
Lieferungen an eine Kriegspartei „noch“ vom Völkerrecht gedeckt seien, denn der
Angegriffene wird sich einen feuchten Kehricht um solche gelehrten Sentenzen
kümmern, sondern er wird gegen den Veranlasser zurückschlagen. Dies gilt umso
mehr, als Waffenexperten ganz offen einräumen, dass der Taurus, zwar formell in
die ukrainische Armee geliefert werden mag, jedoch von dort ohne das Eingreifen
seines deutschen Personals keinen Meter weit Richtung Moskau fliegen wird, weil
die Beschenkten ihn nicht sachkundig bedienen können.
Der
Herrscher im Kreml hat neuerdings (im März) klargestellt, dass er den Beschuss
mit Taurus als deutsche Kriegshandlung gegen Russland auffassen und mit Krieg
beantworten werde. Bislang hatte man diese Töne seit etwa zwei Jahren nur durch
seinen Vertreter Medwedjew vernommen. Es gehört zu den Rätseln deutscher
Politiklenker, so zu tun, als habe Putin nichts gesagt. Wenn überhaupt, wird in
den deutschen Medien flankierend verbreitet, er bluffe nur. Das kann man
glauben, oder es bleiben lassen. Ich neige dazu, ihn ernst zu nehmen.
Die
mögliche und wahrscheinliche russische Reaktion bedeutet aus meiner Sicht nicht
zwingend, dass ein kaum noch zu beherrschender Weltkrieg ausgelöst werden wird.
Nein, es würde genügen, um Deutschland zu domestizieren, ein weltweit bemerktes
Symbol zu zerstören. Wie wäre es mit einer Kinshal-Rakete, die das Taurus-Werk
in Schrobenhausen mit Mach 10 pulverisiert? Bevor der Leser jetzt aufschreit
und mich des Landes- oder eines sonstigen Verrats bezichtigt: Genau das ist es,
was russische Militär-Experten derzeit diskutieren. Unrealistisch wg. der
Beistandspflicht aus Art. 5 Nato-Vertrag? Einen Moment bitte, man zeige mir den
Verbündeten, der jetzt wg. ein paar deutschen Taurus in den Krieg ziehen wird.
Die USA sind es seit dem Amtsantritt von Trump mit Sicherheit nicht.
Und
zum Schluss: Vollends diffus ist die – auch von führenden deutschen Offizieren
vertretene – Auffassung, die russische Armee sei im Felde schlagbar, weswegen
man die Bundeswehr bis 2029 hochrüsten müsse. Weswegen der angeblich
unberechenbare Führer im Kreml diesen Zeitpunkt abwarten sollte, bleibt das
Geheimnis dieser uniformierten Propheten. In der Politik heißt es derzeit in
Sachen Bundeswehr „Gebt mir vier Jahre Zeit“. Das kommt mir irgendwie bekannt
vor. Die Parole ging seinerzeit für Deutschland nicht gut aus.
©Helmut
Roewer, April 2025